Thomas Placzek

Nachts ist es kälter als draußen
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Gedankenfragmente

Ich bin kein Politiker und ich fürchte, mit 60+ bin ich auch zu alt dafür, einer zu werden. Lust dazu hätte ich schon.

Ich bin altmodisch. Gross geworden in einer Familie überzeugter SPD-Wähler. Meine Eltern sind 1959/1960 als Intellektuelle des frühen Widerstands aus der DDR geflohen (zugegeben, sehr unspektakulär: vor dem Mauerbau war das mit der Strassenbahn zu machen). Altmodisch, weil ich am Ende der 68er gerade mal 11 - 12 Jahre alt war. Aber entscheidend von einer Generation geprägt, in der der Glauben an eine freie Demokratie nicht zu erschüttern war.

Ich habe studiert im Berlin der 70er Jahre, bin in das erzkonservative Bayern ausgewandert und habe es lieben gelernt. Dank meiner guten Ausbildung und einer Bereitschaft mich meistbietend zu verkaufen (ich war europäischer Beamter) habe ich finanziell praktisch nie Sorgen gehabt. Ich habe Deutschland vor ca. 10 Jahren wegen meiner Arbeit verlassen und wohne überwiegend in den Niederlanden. Ich habe 25 Jahre meines 35-Jährigen Erwerbslebens in einer internationalen Umgebung gearbeitet. Ich geniesse es, mich zwischen Deutschland, den Niederlanden und Spanien so frei zu bewegen als wäre es innerhalb meiner eigenen Wohnung. Mit den Händen in den Hosentaschen.

Ich kenne Krieg, Währungsreform, Not und Hunger nur aus den Erzählungen der Generation meiner Eltern und aus Geschichtsbüchern. Den totalitären DDR Staat jedoch aus eigener Erfahrung als Westbesucher. Ich bin bequem und mäßig politisch interessiert.

Warum schreibe ich das? Weil mir die Neo-Populisten à la Trump, Putin, Erdogan und Orbán auf den Senkel gehen. Und warum gehen sie mir auf den Senkel? Weil die Generation, die meiner nachfolgt, kein politisches und demokratisches Rückgrat mehr hat, oder wenn man so sagen will, keine Eier. Nicht nur, dass dieselbigen eben fehlen, aber es fehlt auch das Bewusstsein warum es wichtig ist, welche zu haben. Um eben diese Typen zu verhindern. Und die nächste Welle der machtgeilen Politiker ist unterwegs: Seehofer, Kurz und wie sie alle heissen - nur um den Namen des italienischen Fuzzis nicht herauskamen zu müssen - stehen in den Startlöchern (https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-06/populismus-europa-sebastian-kurz-horst-seehofer-viktor-orban-nationalkonservative-achse). Aber das ist jedem egal, weil das Verfolgen der Nachrichten in den öffentlich-rechtlichen Medien ja uncool ist (trotz diverser Enthüllungen des Rechercheverbunds NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung). Und erst recht jeden Tag um 20:00. Serien auf Netflix sind doch viel besser. Da muss man nicht erst warten, bis die Nachrichten um 20:15 zu Ende sind.

Jeder schimpft auf Europa und will lieber sein eigenes Süppchen kochen, abgewandt in der heimischen Küche. Dabei brauchen wir nicht weniger Europa, sonder mehr. Eine gemeinsame Identität, eine gemeinsame Wirtschaft- und Finanzpolitik und eine gemeinsame Verteidigung. Jawohl, auch Verteidigung. Damit wir die Milliarden, die wir in die Rüstung stecken, zumindest koordiniert einsetzen und uns nicht mit Gewehren blamieren, die um die Ecke schiessen (Mit einer gemeinsamen europäischen Telekommunikationspolitik hat es doch auch geklappt, Internet geht jetzt auch ohne Roaming.) Den Rest, Bildung, Polizei, Steuern erledigen wir gemäß dem föderalistischen Prinzip, das in Deutschland, Österreich der Schweiz und vielen anderen Ländern jahrzehntelang gut funktioniert hat (und trotzdem verbessert werden kann). Unter der Bedingung, dass wir in den Vereinigten Staaten von Europa leben, könnten Schottland, Katalonien, Bayern, das Baskenland, Südtirol und wie sie alle heissen, ihre regionale Autonomie haben. Warum nicht?

Aber dazu müssen unsere verweichlichten, politisch uninteressierten, ignoranten und frustrierten Kinder und Enkelkinder endlich in die Pötte kommen, etwas für ihre politische Bildung tun und verdammt noch mal zu jeder Wahl gehen, bei der sie wahlberechtigt sind. Schaltet das Hirn ein, gebraucht den gesunden Menschenverstand und zeigt etwas von der politischen Ethik eurer Großeltern!

Lasst Euch nicht von den Trumpeln dieser Welt weismachen, dass die Erde eine Scheibe und die Klimakatastrophe eine Verschwörung sei, oder dass es beim Dieselskandal um gefälschte Markenjeans ginge.